Der akademischen Enge getrotzt

Isabelle Noth, Professorin für Seelsorge, Religionspsychologie und Religionspädagogik an der Universität Bern
© Universität Bern. Bild: Daniel Rihs

Isabelle Noth

Professorin für Seelsorge, Religionspsychologie und Religionspädagogik

Prof. Dr. Isabelle Noth ist Direktorin des Instituts für Praktische Theologie, Professorin für Seelsorge, Religionspsychologie und Religionspädagogik (100%). Sie ist Präsidentin der Aus- und Weiterbildung in Seelsorge und Pastoralpsychologie (AWS) und des trifakultären CAS Spiritual Care.

 

Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit besonders gut?

Am meisten gefallen mir die internationale Vernetzung, der interdisziplinäre Austausch und die freundschaftlichen Verbindungen über Fakultäten hinweg. Gerade das Spiritual-Care-Projekt, das von der Medizinischen, der Philosophisch-humanwissenschaftlichen und der Theologischen Fakultät gemeinsam getragen wird und grossen Anklang findet, gehört zu jenen Projekten, die einen hohen Einsatz erfordern, aber auch enorme Freude bereiten. Wir haben zusätzlich eine International Association for Spiritual Care (IASC) gegründet und schon zwei Konferenzen mit renommierten Forschenden und Teilnehmenden aus sämtlichen Kontinenten durchgeführt. Die Studierenden bekommen dabei die Gelegenheit, mit den AutorInnen der Bücher und Aufsätze, die sie lesen, zu diskutieren und sich mit interkulturellen Aspekten der Begleitung von Menschen aus Sicht verschiedener Disziplinen und Religionen wissenschaftlich auseinanderzusetzen.

Das Besondere scheint mir die Möglichkeit, über die eigenen Fachgrenzen hinausschauen zu können. Mitzuverfolgen, was in anderen Disziplinen geschieht und welches dort die aktuellen Forschungsfragen sind: Dieses Direkt-am-Puls-Sein ist einmalig an der Universität. Unvergesslich bleibt mir eine Einladung zu einer schweizerischen Bankrechtstagung im Hotel Bellevue. Ich dachte zunächst, ich hätte inhaltlich nicht den geringsten Bezug zum Fach, bis ich realisiert habe, dass es sich ja zum Beispiel auch mit Fragen zum neuen Erwachsenenschutzrecht befasst. Man sieht Zusammenhänge und Bezüge, die einem zuvor nie in den Sinn gekommen wären.

Das alles bereichert, regt an und macht auch schlichtweg Freude am Leben. Exzellente Arbeit leistet auch das Forum für Universität und Gesellschaft. Und natürlich – angesichts von sieben Studiengängen mit über 400 Teilnehmenden im Bereich Seelsorge und Spiritual Care – schätze ich die Zusammenarbeit in der universitären Weiterbildungskommission. Last but not least: regelmässig abends vor oder nach einer letzten Sitzung oder einem Anlass noch mit einem Kollegen oder einer Kollegin kurz etwas trinken zu gehen, ist ein Muss.

Blicken Sie auf einen «klassischen» akademischen Weg zurück?

Ich war sechs Jahre Assistentin in Neuerer Kirchengeschichte, Theologiegeschichte und Neuerer Konfessionskunde, habe mit Summa promoviert und sollte mich in Marburg über die Religionspolitik Philipp von Hessens habilitieren. Mir war aber zu der Zeit – nachdem ich schon im Gemeindepfarramt gewesen war und die Ausbildung zur Gefängnisseelsorgerin absolviert hatte – bewusst geworden, dass ich das Bedürfnis hatte, etwas anderes zu tun. Ich wollte mich mit etwas beschäftigen, das ich nicht nur spannend und interessant, sondern auch aus tiefer Überzeugung wichtig finde, nämlich die Begleitung von Menschen in kritischen Lebenssituationen. Deshalb habe ich einen Fachwechsel vollzogen und mich in Praktischer Theologie in Zürich habilitiert, nachdem ich mit einem dreijährigen SNF-Stipendium in Wien und Los Angeles war. Man hat mich damals gewarnt, der Wechsel sei ein Karrierekiller, und mir dringend davon abgeraten. Ich bin froh, dass ich mich nicht von dieser akademischen Enge habe beeindrucken lassen, sondern mich an der geistigen Freiheit orientiert habe, nach der wir uns doch sehnen und die uns letztlich alle miteinander verbindet.

Wie sind Sie mit Hürden umgegangen?

Ich bin mit einem enormen Respekt vor Bildung, Forschung und Lehre aufgewachsen. Unvergesslich bleibt mir, wie mich meine Mutter in den USA zu Vorlesungen mitnahm und wie stolz ich war, wenn ich auf dem Campus eines ihrer dicken Bücher tragen durfte. Je mehr ich selbst Teil des Systems wurde, desto mehr wurde ich auch mit Schattenseiten konfrontiert, ohne jedoch je den ursprünglichen Impetus zu verlieren. Universitäten sind leider genauso wenig davor bewahrt, «biased» zu sein, wie andere Institutionen. Auch hier ist noch einiges im Bereich sozialpsychologischer Bewusstseinsbildung zu leisten.

Wie verbringen Sie Ihre Zeit?

Prozentual Stunden pro Tätigkeit in einer durchschnittlichen Woche:

Zeitdiagramm von I. Noth, Universität Bern
© Christa Heinzer