Karriere gemeinsam gezielt geplant

Doppelporträt Anja Hostettler Streit & Sven Streit

Anja Hostellter, Angehende Hausärztin

Anja Hostettler Streit

Angehende Hausärztin

Dr. Anja Hostettler Streit arbeitete 100% als Assistenzärztin, bevor die erste Tochter zur Welt kam. Nach der Geburt reduzierte sie auf 50% zuerst am Spital, später in einer Hausarztpraxis. Nach der Geburt des zweiten Kindes arbeitete sie wieder 100% und ihr Mann betreute die Kinder an zwei Tagen, eine Kita an drei Tagen.

Sven Streit, Forscher und Hausarzt

Sven Streit

Forscher und Hausarzt

Dr. Sven Streit arbeitete nach der Geburt des zweiten Kindes im Jobsharing mit einer Oberärztin zu 50% am Inselspital. Daneben forschte er zu 20% am Berner Institut für Hausarztmedizin BIHAM. Den Facharzttitel erwarb er nach dem zweiten Kind. Nach der Geburt der dritten Tochter arbeitete Anja 60% und Sven 80%. Diese hohen Pensen mit drei kleinen Kindern zu bewältigen, war dank einer Tagesmutter möglich. Inzwischen ist die Familie für ein Jahr nach Holland gezogen. Dort betreibt Sven zu 100% Forschung und Anja betreut Vollzeit die Kinder. Bereits ist klar, dass Anja nach der Rückkehr aus Holland für ein Jahr zu 50% in einer Kinderarztpraxis arbeiten wird und anschliessend den Facharzttitel einreichen wird.

Das Paar ist seit der Matura zusammen. Sie haben gleichzeitig studiert und das Staatsexamen abgelegt. Beide arbeiten mit dem Schwerpunkt Hausarztmedizin. Sie haben ihre Karrieren von Anfang an mit Familie geplant. Heute haben sie drei Kinder im Alter von einem bis sechs Jahren.

 

Was ist das Besondere an Ihrer Arbeit?

Anja Hostettler: Meine Arbeit im Spital mit Patientinnen und Patienten ist sehr vielseitig und erfüllend. Am Abend sehe ich, was ich den Tag über geleistet habe.

Sven Streit: Dank dem, dass wir beide Teilzeit arbeiten, bekomme ich so viel von den Kindern mit. Obwohl die Tage mit drei Kindern streng sind merke ich, wie tiefgründig die Beziehung zu den Kindern ist. Was ich wirklich spannend finde, ist die Abwechslung zwischen der Rolle als Hausarzt, jener als Forscher und der komplett anderen Welt, wenn ich daheim bin. Diese Abwechslung ist sehr erfüllend. Aktuell mache ich drei Tage Forschung, einen Tag Hausarztpraxis und einen Tag Familienbetreuung.

Mit welchen Hürden waren Sie konfrontiert? Wie haben Sie diese überwunden?

SS: Es wäre übertrieben zu sagen, wir hätten wirkliche Hürden gehabt. Wir leben in einer Zeit mit Ärztemangel. Das hat mir sehr geholfen, Teilzeitstellen zu finden. In der Forschung ist es ähnlich: die Hausarztmedizin entwickelt sich. Dies hat mir ermöglicht, nur 20% Forschung zu betreiben. Jetzt wo es um die Habilitation oder eine Assistenzprofessur geht merke ich, dass es Hürden gibt. Wenn Kandidatinnen und Kandidaten verglichen werden wird geschaut wie alt diese sind und wie viele Jahre sie Forschung betrieben haben. Aber ob die Person das zum Beispiel in Teilzeit gemacht hat, ist irrelevant. Das muss ich durch mehr Leistung aufholen können.

AH: Für mich ist herausfordernd, dass ich in den drei Tagen am Spital zu wenig Zeit habe, um die Arbeit so zu machen, wie ich es gerne hätte. Auch zu Hause sind zwei Tage knapp. Man schätzt das Arbeiten aber mehr, wenn man beides macht. Weiter kann Teilzeitarbeit im Spital organisatorisch schwierig sein. Nach dem ersten Kind konnte ich zwar Teilzeit arbeiten, musste aber immer jeweils zwei Wochen 100% arbeiten und hatte dann zwei Wochen frei. Das ist schwierig zu organisieren. Unsere Lösung war die Tagesmutter. Als ich nach dem dritten Kind wieder Teilzeit arbeiten wollte, gab es kaum Auswahlmöglichkeiten.

Trotzdem beweisen Sie, dass Klinik, Forschung und Familie vereinbar sind.

AH: Ja, es geht. Es ist am Spital schwierig, aber es geht. Und es muss immer besser möglich werden, weil es gar nicht anders geht, wenn immer mehr Frauen in der Medizin arbeiten.

Was waren für Sie die Vorteile ihres besonderen Werdeganges?

AH: Dass wir es geschafft haben, Familie und Beruf zu vereinbaren. Ab dem Zeitpunkt, als auch Sven Teilzeit arbeitete, hatte ich den Rücken frei. Nach der ersten Geburt habe ich die Rollenaufteilung als frustrierend erlebt, weil ich vorübergehend aus der Arbeitswelt ausgeschieden war. Ein Vorteil ist auch, dass nicht mehr wichtig ist, wer von uns beiden zu Hause ist. Wir können uns darauf verlassen, dass es klappt. Wir können die Hausarbeit gleichwertig aufteilen.

SS: Unter den Männern, die wir kennen, gibt es viele, die Teilzeit arbeiten möchten. Von denen, die jetzt in die Praxis gehen, arbeiten die meisten Teilzeit. Es ist ja nicht so, dass die Teilzeitarbeitenden eine faule Generation sind, die nur 70% arbeiten wollen. Wenn die Kinder grösser sind und uns weniger brauchen, sind wir gerne bereit, wieder mehr zu arbeiten. Wir haben beide eine lange Ausbildung gehabt und wollen das ausüben, was wir gelernt haben. Wir haben unsere Karrieren gezielt zu zweit geplant. Anfangs überlegten wir uns, ob wir jahresweise abwechseln sollten. Dann erschien es uns aber wichtiger, dass einer (Sven) zuerst den Facharzttitel erlangt, damit er einfacher das Pensum reduzieren kann und wir besser Beruf und Familie adaptieren und kombinieren können.

Welche strukturellen Veränderungen wünschen Sie sich an den Universitäten?

SS: Lohn wird eingestuft nach dem letzten Abschluss und nach Alter. Das ist ein Nachteil für die junge Generation, die Teilzeit arbeitet. Die akademischen Massstäbe gehen immer von 100% Arbeitstätigkeit aus. Es gibt keinen Faktor der aufzeigt, ob man sich an der Familienbetreuung beteiligt hat.

AH: Wünschenswert wäre auch, dass es vermehrt Kitas gibt, welche in der Tageswahl flexibel sind, dass man nicht fix an die Tage gebunden ist.

Welchen Tipp geben Sie dem wissenschaftlichen Nachwuchs in Ihrem Gebiet?

SS: Ich empfehle den jungen Menschen, möglichst früh auch mit der Forschung zu beginnen, anstatt zuerst die klinische Ausbildung abzuschliessen und dann erst Forschung zu machen. Mentoring ist auch ein wichtiger Punkt. Sie sollen sich fragen: «Was willst du gerne haben, damit du dich in den nächsten 25 Berufsjahren zufrieden fühlst?»

AH: Ich empfehle den jungen Frauen, die Assistenzzeit hin zur Fachärztin möglichst abgeschlossen zu haben, bevor die Kinder kommen. Die heutigen Assistenzärztinnen sind beim Staatsexamen etwa 25 oder noch jünger. Sie sollen sich nicht stressen mit Familienplanung. Und man soll die jungen Frauen ermutigen, dass es geht: Familie und Beruf. Sie sollen sich nicht von irgendwelchen alten Chefärzten entmutigen lassen die meinen, man müsse sich zwischen Karriere und Familie entscheiden.

SS: Ich habe mich richtig aufgeregt, als der Dekan uns an unserem ersten Studientag mit den Worten begrüsste: «Schön hat es so viele Frauen… jetzt müsst ihr euch entscheiden: Kind oder Fachärztin.» Das war im Jahr 2002. Irgendwie war es gut, hat er das gesagt, denn es war für mich immer wieder eine Motivation, dem entgegen zu arbeiten.

AH: Man sollte an die Väter appellieren, dass sie auch Teilzeit arbeiten. Und junge Frauen sollten genau hinschauen, welchen Partner sie wählen. Es funktioniert – sofern man Teilzeit arbeiten kann.

Anja Hostettler, wie verbringen Sie Ihre Zeit?

Prozentual Stunden pro Tätigkeit in einer durchschnittlichen Woche:

Zeitdiagramm von A. Hostettler, Universität Bern
© Christa Heinzer

Sven Streit, wie verbringen Sie Ihre Zeit?

Prozentual Stunden pro Tätigkeit in einer durchschnittlichen Woche:

Zeitdiagramm von S. Streit, Universität Bern
© Christa Heinzer