Die wissenschaftliche Karriere – ein Marathon!

Iole Fargnoli, Professorin für Römisches Recht an der Universität Bern
© Universität Bern. Bild: Daniel Rihs

Iole Fargnoli

Professorin für Römisches Recht

Prof. Dr. Iole Fargnoli ist Ordentliche Professorin für Römisches Recht (50%) und leitet das Romanistische Institut an der Universität Bern. Sie ist Mitglied in der SNF-Forschungskommission der Universität Bern und vertritt die Rechtswissenschaftliche Fakultät im Collegium generale. Ausserdem ist sie ’Professore associato' an der Universität Mailand. Mit ihrem Partner, einem italienischen Richter, hat sie zwei Kinder.

 

Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit und was ist das Besondere dabei?  

Die Arbeit ist erfüllend und vielseitig. Auf der einen Seite arbeite ich gerne mit den Studierenden zusammen und mag ihre Lernbegierde. Andererseits geniesse ich die Forschungsfreiheit, die es mir erlaubt, meinen eigenen Weg zu gehen. Zudem ist die Arbeit an der Universität mit einem modernen Arbeitsumfeld und freier Zeitorganisation verbunden, was es mir erlaubt, Familie und Karriere unter einen Hut zu bringen. Ich würde diesen Job jederzeit wieder wählen.

Inwiefern ist Ihre Laufbahn nicht ganz „klassisch“?

Mein Weg war eigentlich klassisch. Ich habe in Mailand studiert und dort auch die akademische Karriere bis zum Professore associato durchlaufen. Aus italienischer Perspektive unüblich hingegen ist, dass ich dem Ruf in die Schweiz gefolgt bin. Anders als in anderen akademischen Bereichen ist in den Rechtswissenschaften ein Landeswechsel etwas Besonderes, da das Recht, und vor allem das Privatrecht, grundsätzlich nationales Recht ist. Da mein Fach jedoch das Römische Recht ist, welches als Grundlage des europäischen Rechts wirkt, war mir dieser Schritt möglich.

Nicht klassisch an meiner aktuellen Situation ist sicher, dass ich in zwei Ländern unterrichte. Ich bin an der Universität Bern 50% angestellt. Daneben halte ich aber nach wie vor Vorlesungen als Professore associato an der Universität Mailand. Trotz der kleinen geografischen Distanz sind sowohl die Gesellschaft als auch die Universitätsorganisation in den beiden Städten unglaublich unterschiedlich. Das Recht ist immer ein Spiegel der Gesellschaft und ihrer Veränderungen. In zwei Ländern juristische Vorlesungen zu halten, gibt mir die Gelegenheit, diese Entwicklungen vor Ort zu beobachten und die gemeinsamen Rechtsgrundlagen und ihre jetzige Disparität voll zu erfassen.

Nicht nur beruflich, sondern auch privat bin ich in Bern und Mailand zu Hause. Mein Mann ist Richter in Italien – in dieser Position kann er natürlich nicht im Ausland arbeiten. Unser Familienmodell funktioniert natürlich nur mit beruflicher Flexibilität und Organisationstalent.

Mit welchen Hürden waren Sie konfrontiert und wie haben Sie diese überwunden?

Als ich in Bern angefangen habe, war das primäre Problem die Sprache. Meine Mutter ist zwar aus Deutschland, hat mit mir allerdings immer Italienisch gesprochen. Ich habe erst im Alter von 17 Jahren begonnen, Deutsch zu lernen. Die Vorlesungen hier in Bern habe ich von Anfang an auf Deutsch gehalten, was mir anfangs sehr schwer fiel, da ich die ganze juristische Ausbildung auf Italienisch absolviert hatte. In der Zeit, als ich die erste Vorlesung hier in der Schweiz vorbereitete, habe ich zwölf Stunden am Tag gearbeitet und in wenigen Wochen zwei Dioptrien verloren. Die Geburt meiner Tochter vor sechs Jahren war – neben dem neuen Umfeld – dann eine zweite grosse Veränderung, die anfangs schwierig zu organisieren war. Plötzlich gab es keine Wochenenden mehr, an denen ich arbeiten konnte und ich hatte viel weniger Zeit. Die Kinderbetreuung in den Berner Kitas ist jedoch sehr gut, was mir erlaubte, nach dem Mutterschaftsurlaub unbeschwert weiter zu arbeiten. Auch mein zweites Kind, das unterwegs ist, ist schon für die Kita angemeldet.

Welche Vorteile bringt Ihr besonderes Modells?

Sehr wichtig war für mich die Beständigkeit und die Begeisterung für die Forschung. Mein Lebensentwurf mit dem Leben in zwei Ländern ist spannend. Für die Vernetzung und die Forschung ist diese Situation sehr wertvoll, aber ich würde sie nur denjenigen weiterempfehlen, die sich sehr gut zu organisieren wissen und einen starken Willen haben.

Welche Änderungen würden Sie sich an der Universität wünschen?

Mir sind vor allem die Qualität der Forschung und der Lehre wichtig. Hervorzuheben ist meines Erachtens das Ideal der Einheit von Forschung und Lehre. Ich finde es zum Beispiel wichtig, dass in Anstellungskommissionen wirklich darauf geachtet wird, dass diejenigen Leute ausgesucht werden, die einen guten Job in der Lehre sowie in der Forschung machen. Ein problematischer Aspekt ist, dass in der letzten Zeit die Menge der Verwaltungsaufgaben für Professorinnen und Professoren stark zugenommen hat, wodurch die Zeit für Forschung und Lehre weniger geworden ist. Ich würde mir wünschen, dass diese Belastung wieder abnimmt.

Welchen Ratschlag geben Sie dem wissenschaftlichen Nachwuchs in Bezug auf eine wissenschaftliche Karriere?

Primär würde ich dem Nachwuchs raten, sich in der Qualifikationszeit auf die Forschung zu konzentrieren und in der Forschung originelle Wege zu gehen. Die Lehre ist sehr wichtig –  die Basis für die Karriere aber wird in der Forschung gelegt. Heute als Professorin mit Lehr- und Verwaltungsaufgaben habe ich viel weniger Zeit für die Forschung selbst, deswegen ist diese Konzentration am Anfang der Karriere umso wichtiger. Wer eine akademische Karriere anpacken möchte, sollte auf sich selbst vertrauen. Ich habe sehr gerne Sport und bin jahrelang Marathon gelaufen. Ich finde, der akademische Weg gleicht genau dem Marathon: Er dauert lang und es gibt immer wieder Krämpfe, Zweifel oder Schmerzen, aber wer durchhält, kommt zum Ziel.

Wie verbringen Sie Ihre Zeit?

Prozentual Stunden pro Tätigkeit in einer durchschnittlichen Woche:

Zeitdiagramm von I. Fargnoli
© Christa Heinzer